Eine Lange Nacht der Geschlechterrollen

Einladung zum Radiohören:

6. Dezember um 0:05 – 3:00 Uhr im Deutschlandradio Kultur

6./7. Dezember im Deutschlandfunk, 23:05 – 2:00 Uhr

und im Anschluss (vorauss. 2 Wochen lang) *hier* als podcast

Jakob spielt am liebsten mit dem Puppenhaus, er mag Haarspängchen und verkleidet sich gern mit Kleidern und Klackerschuhen. Aber nur zuhause, weil er im Kindergarten dafür schon ausgelacht wurde und auch von den Erwachsenen Kommentare kommen, die allenfalls auf den ersten Blick gut gemeint sind. Emma ist Verteidigerin im örtlichen Fußballverein

"Lego Friends" für Mädchen vs. "Lego City" für Jungs = Haare, Minirock + Freundinnen statt Berufe, Action und Abenteuer

„Lego Friends“ für Mädchen vs. „Lego City“ für Jungs = Haare, Minirock + Freundinnen statt Berufe, Action und Abenteuer

und grätscht die wild anstürmenden Jungs schon mal kompromisslos weg. Sie mag gerne weite, gemütliche Hosen in blau und grün. Aber in den Abteilungen für Mädchenkleidung gibt es überwiegend Stretch-Jeans und enge Slim-Schnitte in Pink.

Nagelscheren und Klebestifte, Pflaster und Schnuller, Fahrräder und Sandspielzeug, Smartphones, Bücher und Computerspiele … die gesamte Spiel- und Lebenswelt von Kindern wird heute in zwei Sphären aufgeteilt: für Jungen – für Mädchen, weiblich – männlich, hellblau – rosa. Bloß eine Phase, die sich wieder rauswächst? Wohl kaum, denn mit den Produkten und Spielangeboten werden immer auch Charaktereigenschaften und Interessen weiter gegeben … oder unterbunden. Das hellblaue Shampoo ist „für Siegertypen“, die pastell-rosafarbene Variante ist für Prinzessinnen und hilft, dass es beim Kämmen langer Haare nicht ziept. Der neue Pizzaburger ist für Männer, die keinen Appetit haben sondern Hunger. Und das neue Joghurt ist besonders mild und leicht bekömmlich, macht gar nicht dick und wird natürlich von einer Frau und für Frauen beworben. Jungs entdecken und erobern in ihren Spielen neue Welten, Mädchen spielen soziale Welt mit Haushalt, Kinderbetreuung und Körperpflege. Waren wir da nicht schonmal weiter?

Im aktuellen politischen Diskurs geht es darum, dass sich Väter mehr an der Betreuung, am Leben ihrer Kinder beteiligen mögen (Elternzeit, Familienarbeitszeit), dass sich Mädchen und Frauen mehr in naturwissenschaftlich-technischen Feldern engagieren und in Führungspositionen vorstoßen (MINT, Quote), um geschlechtergerechte Sprache, Alltagssexismus und wie sich die ungleiche Rollen- und Machtverteilung zwischen den Geschlechtern auflösen, zumindest abmildern ließe. In den Kinderzimmern ist davon nichts zu spüren, im Gegenteil. Hier werden Klischees und Rollenbilder weitergegeben, die wir eigentlich für längst überwunden hielten. Wenn Jakob sich liebevoll um seine Puppen kümmert, spielt er dann nicht heute schon, was ihn später einmal ausmachen kann, nämlich ein fürsorgender Erwachsener zu sein als Partner, Vater und als Sohn? Und wenn wir das als gesellschaftliches Ziel erachten, sollten wir ein solches Verhalten dann nicht ebenso unterstützen, wie wir das bei Mädchen tun? Oder ist die Sorge, Jakob könnte homosexuell sein, doch tiefer verwurzelt, als wir uns einzugestehen bereit sind? Sind wir letztlich immernoch überzeugt, dass empathisches Verhalten, Pflege und Betreuung minderwertige Interessen sind im Vergleich zum mathematisch-technischen Forscherdrang, zu BWL und Juristerei?

„Diese ganze Unterscheidung zwischen männlich / weiblich, das ist so ein Quatsch! Wenn man ’s wirklich darauf reduziert: Wer arbeit produktiv mit und wer zerstört mehr, als dass er positiv bewirkt? Wer verbreitet mehr Angst und Schrecken, als dass er an einer Gesellschaftsstruktur positiv mitarbeitet? Wer wirtschaftet in die eigene Tasche, statt mit der Allgemeinheit zu arbeiten? Da müsste die Unterscheidung liegen!“ Waldemar Kobus in: Die Rosa-Hellblau-Falle. Eine Lange Nacht der Geschlechterrollen.

 

Die Rosa-Hellblau-Falle

Eine Lange Nacht der Geschlechterrollen

von Almut Schnerring und Sascha Verlan

 Eine Sendung mit:

 

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Nachtrag:

Zum aktuellen (Ende Oktober) Stand der Produktion gibt’s hier einen kurzen Blogpost.

 

 

5 Gedanken zu „Eine Lange Nacht der Geschlechterrollen“

  1. Weil es noch so lange in mir nachwirkt muss ich an dieser Stelle mal einen Kommentar hinterlassen. Ich fand die lange Nacht der Geschlechterrollen wirklich hörenswert. Eine Geschichte geht mir wirklich nicht mehr aus dem Sinn. Es ist die des Jungen, der von seinen Erzieher_innen verboten bekam mit Puppen zu spielen. Da ich selbst Erzieherin bin, kann ich darüber nur irritiert den Kopf schütteln und hoffe, dass nachdem die Eltern nachfragten, die Kita ihr Konzept noch einmal überdacht hat.
    Ich habe davon auch meinen Kollegen und Kolleginnen erzählt und mich auch mit Eltern darüber unterhalten. Die erste Reaktion war immer, dass sich diese Geschichte sicher vor geschätzt 20-40 Jahren zugetragen hat. Es fiel ihnen schwer zu glauben, dass es aktuell ist.

    Ich empfehle übrigens die Rosa-Hellblau-Falle eifrig weiter, weil ich grade doch immer wieder merke wie sehr die Rollenbilder in den Köpfen verhaftet sind, aber wie wenig davon bewusst wahrgenommen wird.

    1. Danke für Deine Rückmeldung und das positive Feedback!
      Die Eltern sind leider nicht gehört worden und haben deshalb inzwischen in einen Waldkindergarten gewechselt. Aber der Vorstellung, dass ein besonderes Interesse am Puppenhaus / Spiel mit Puppen für Jungs „nicht normal ist“, begegnen wohl viele ErzieherInnen bzw. viele sind sich selbst nicht so ganz sicher, ob es nicht doch ein „zu viel“ gibt, das dann Anlass zur Sorge sei. Nicht nachvollziehbar angesichts der Debatte um Väter, die mehr zur Familienarbeit beitragen sollen, um ca 3% männliche Erzieher in Dland, um den Gender Care Gap…

      1. Schade das zu hören, aber wundern sollte es mich eigentlich nicht, bekomme ich im Austausch mit anderen Erzieherinnen und Erziehern doch immer wieder mit, dass unsere Art zu arbeiten nicht so selbstverständlich ist, wie sie uns vorkommt.
        Solange Argumente für männliche Erzieher immer noch lauten: Dann haben wir endlich jemanden der den Werkraum betreut und mit den Jungs Fußball spielt, die Möbel repariert usw…
        Und sich mein Mann (Erzieher in der Krippe) immer wieder die Frage anhören muss: „Aha, und sie wickeln also auch?“, gestellt mit diesem Unterton und diesem Blick, die alle möglichen Vermutungen und Ängste bezüglich Kindesmissbrauch beinhalten, ist es aber noch ein langer Weg, bis nachhaltige Änderungen in Gang kommen. Und das ist ja nur ein kleiner Teil, wenn es um das Gender-Thema geht.
        Ich arbeite hier zum Glück in einem ziemlich offenen Umfeld, sowohl was die Kinder, die Kollegen und die Eltern angeht.

        1. Ja, der Generalverdacht gehört auch zum Thema der Geschlechterschubladen. Leider.

          >>Ich arbeite hier zum Glück in einem ziemlich offenen Umfeld, sowohl was die Kinder, die Kollegen und die Eltern angeht.

          Das hört sich gut an. Hoffen wir also, dass Berichte und Fortbildungen rund um geschlechtergerechte Pädagogik
          (nicht Gleichmacherei, falls jemand mitliest, der hier Übles vermutet: http://ich-mach-mir-die-welt.de/2014/04/endlich-mittendrin-in-der-gender-diskussion/)
          noch mehr erreichen.

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