Wie Gendermarketing den Alltag von Kindern verändert

Ich habe gestern direkt hintereinander Tweets von ‪@dasnuf‬ und ‪von @soeesa‬ gelesen und daraufhin einen längeren Thread auf Twitter gepostet. Den möchte ich hier noch einmal zusammenfassen und ergänzen, ohne Abkürzungen und 140 Zeichen-Begrenzung (und vielleicht etwas weniger zornig, weil eine Nacht vergangen ist 😉 ).

Mein erster Gedanke: Irgendwann muss sich der Zusammenhang doch mal rumsprechen zwischen den Botschaften des Gendermarketing und dem Rollenverhalten von Kindern (bzw. ihren Eltern).

Zwar haben die drei Tweets auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun und doch gibt es einen klare Verknüpfung: Gendermarketing setzt auf Geschlechtertrennung und unterschiedliche „Markierung“ von Jungen und Mädchen (schöner: „Zielgruppendifferenzierung„) und verbreitet deshalb stereotype Botschaften übers Mann- und Frau-Sein und deren Unterschiede.

 

Und Eltern widerum ist es ein Anliegen, dass sich ihre Kinder „richtig“ entwickeln, dass sie nicht ausgegrenzt werden und ihren Weg gehen. Auch wenn die Vorstellungen darüber, wie dieser Weg aussehen sollte, sehr unterschiedlich sind, haben sie schon lange bevor sie Eltern wurden internalisiert, was Mann-Sein und Frau-Sein im Hier und Heute bedeutet.

 

Da liegt es doch auf der Hand, dass es Auswirkungen hat, wenn man jahrelang in Gendermarketing investiert, es gutheißt und seine einengenden Rollenbilder verharmlost. Da ist es doch klar, dass das unser aller Vorstellungen von männlich und weiblich beeinflusst. Ich behaupte ja nicht, dass die Marketingbranche alleine für den Backlash hin zu tradionellen Rollenbildern verantwortlich ist, aber wir haben seit Veröffentlichung der Rosa-Hellblau-Falle in all unseren Interviews, in all den Artikeln und Social-Media-Diskussionen noch von keinem Unternehmen gehört oder gelesen, das die Verantwortung nicht auf Eltern abwälzt, Motto: „Wir verstärken keine Klischees, wir reagieren nur auf die Wünsche der Kundschaft“ – oft gehört.

Tatsache ist aber doch: Seit rund 10 Jahren unterstützt Gendermarketing das Bedürfnis von Jungen und Mädchen sich voneinander abzugrenzen. Und je höher diese Grenze zwischen niedlichen Prinzessinnen und coolen Helden, zwischen rosa und hellblau gezogen wird, umso wichtiger wird das DoingGender für Kinder, umso wichtiger wird es für das einzelne, sich mit denselben Attributen wie die Peergroup als „echtes Mädchen“, als „richtiger Junge“ zu kennzeichnen. Kinder im Vor- und Grundschulalter wollen selbstverständlich zu ihrer Gruppe dazugehören, sich nicht durch „untypische“ Interessen abgrenzen.

 

Aber im Austausch mit anderen Eltern, mit ErzieherInnen und GrundschulpädagogInnen fragen ich mich: welches Mädchen kommt noch an Rosa, Ponys oder Prinzessinnen vorbei, ohne Kommentare zu ernten, dass es „anders“ sei. Welcher Junge darf mit Puppen spielen, zum Ballet gehen oder einen pinken Schulranzen tragen, ohne dass sich wer Sorgen macht, er könnte schwul werden! (Jetzt rufen vielleicht manche Eltern „hier!“, und übersehen in dem Moment, wieviel Krfat und wieviel Selbstbewusstsein das ihrem Kind in seinem Alltag, im Austausch mit anderen, abverlangt!) Und dazu tragen die Befürworter der Gendermarketing jeden Tag kräftig bei, indem sie auf Geschlechtertrennung setzen, sie verstärken, sie fördern und fordern und uns das alles als „natürlich“ verkaufen.

Was tun? Sich dagegen aussprechen!

Es gab noch keine Generation vor uns, die derart medial mit trennenden Botschaften zugeschüttet wurde, niemand unter uns Erwachsenen kann ahnen, welche Auswirkungen das in 20 Jahren haben wird!

Wenn wir also den GenderCareGap, den #PensionGap, Alltagssexismus und Diskriminierung (aufgrund von Geschlecht) angehen wollen, dann sollten wir uns

a) komplett gegen Gendermarketing aussprechen und

b) dringend ein Bewusstsein dafür entwickeln, wo wir uns davon haben schon beeinflussen lassen, so dass wir den Quatsch nicht munter an Kinder weiterreichen, ohne es zu merken.

Tatsächlich wird im Umgang mit Kindern das  Geschlecht allzu häufig „dramatisiert“, also überbetont und zum Thema gemacht in Situationen, in denen es keine Rolle spielen müsste (z.B. nur 2 Schultüten-Bastelsets zur Wahl, in rosa-hellblau oder durch Motive geschlechtlich gelabelt, anstatt eines bunten Angebots) – und hier ist Gendermarketing Vorbild und Förderer – und in anderen Momenten wird es ignoriert, obwohl wichtig wäre, den eigenen Blick auf die so unterschiedliche Erwartungshaltung gegenüber Jungen und Mädchen zu schärfen (z.B. unterschiedliches Bewegungsangebot: Jungen wird häufiger vorgeschlagen, sich „auszupowern“, Mädchen werden eher zum ruhig Sein angehalten)

 

Wer tatsächlich glaubt, er/sie reiche selbst keine Klischees weiter und sei frei von geschlechtlichen Zuordnungen im Kontakt mit Kindern, beweist damit das Gegenteil. Tut mir leid, dass so ausweglos zu formulieren, aber erst wenn wir erkennen, wie tief die Zuordnungen in unserer Kultur und in jedem einzelnen verankert sind, erst dann kann es gelingen, das eigene Handeln und Sprechen zu hinterfragen und öfter anders zu entscheiden. Schließlich sind wir ja selbst damit aufgewachsen, haben sie verinnerlicht und können sie deshalb nicht einfach abwerfen.

Doch leider ist die Mehrheit (lt. Umfragen) überzeugt, Kinder „gleich“ zu behandeln und findet Gendermarketing sei harmlos ¯\_(ツ)_/¯ (siehe das rosa-hellblaue Bullshitbingo). Ich unterstelle sicher keinen bösen Willen, aber ich wünschte, es gäbe mehr Aufklärung über die Wirkmechanismen stereotyper Botschaften im Alltag von Kindern und mehr Hilfen dabei, ein Bewusstein für die o.g. Zusammenhänge zu entwickeln.

 

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