IIiiihh, Mädchen!

„Lass doch die Kinder selbst entscheiden“ ist ein beliebtes Argument, wenn wir das Konzept des Gendermarketing kritisieren. Was wir für eine naive Herangehensweise halten vor dem Hintergrund, dass allein die deutschen Firmen insgesamt mehr als 60 Millionen Euro jedes Jahr in ihr Marketing investieren. Das würden sie sicher nicht, blieben wir Kundinnen und Kunden davon unbeeinflusst. Zwischen 3.000 und 5.000 Werbebotschaften drängen sich tagtäglich in unser Bewusstsein, eine fortwährende Bilder- und Informationsflut, die nur dem einen Zweck dient, Wünsche und vermeintliche Bedürfnisse zu wecken und unsere (Konsum-)Entscheidungen zu beeinflussen: Bereits Kleinkinder können 300 bis 400 Markenlogos zielsicher zuordnen.

Die Botschaft des Gendermarketing (Männer und Frauen unterscheiden sich angeblich grundsätzlich, Jungen und Mädchen hätten völlig unterschiedliche Bedürfnisse…) erreichen also auch Kinder. Unsere These deshalb: Gendermarketing trägt zu einer stärkeren Geschlechtertrennung bei, es führt die nächste Generation zu weniger Miteinander im Alltag, zu weniger gegenseitem Verstehen, zu mehr Grabenkämpfen.

Übertrieben? Schwarzmalerei?

In unseren Interviews für die Rosa-Hellblau-Falle haben wir von mehreren Marketingvertretern erfahren, dass sie sich für ihre Werbung und Verpackungsdesigns auf Umfragen stützen, denen zufolge Produkte, die sich an beide Geschlechter richten, am besten mit Mädchen und Jungen bebildert werden. Klingt soweit ganz logisch. Und Produkte, die mit Abbildungen von Jungen beworben werden, werden durchaus auch von und für Mädchen gekauft. Richtet sich ein Produkt jedoch an Jungen, dann sollten keine Mädchen darauf abgebildet sein, denn dann sagen Jungen angeblich: „Iiiih, da sind Mädchen drauf“ bzw. Eltern und Großeltern vermuten das, und entscheiden sich in aller Regel gegen den Kauf. Diese Aussage und die Tatsache, dass „Du Mädchen“ sogar als Schimpfwort unter Kindern funktioniert, verbirgt eine so intolerante Haltung, dass wir nicht glauben können, dass sich ihr kaum jemand öffentlich entgegenstellt. Das Gegenteil ist der Fall:

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Auf den Verpackungskisten von Spielzeug, das die Hersteller in der hellblauen Kategorie sehen, z.B. Experimentierkästen (sofern sie sich nicht in der Pink-Edition extra an Mädchen richten) oder Bausätze, wie die der Reihe Lego City, sind Jungs abgebildet, die mit dem jeweiligen Inhalt der Verpackung beschäftigt sind, Mädchen finden sich darauf keine.

 

Mehr noch: Weibliche Charaktere werden auf einer ganzen Reihe von Merchandising-Produkten (Bettwäsche, Taschen, Spielzeug…) einfach weggelassen. Aktuelles Beispiel ist die Superheldengruppe Big Hero 6 aus dem Disney-Film Baymax: die beiden weiblichen Figuren, Honey Lemon und GoGo Tomago, kommen einfach nicht mit auf Kinder-Shirts. Eine Mutter aus Washington, die sich darüber beim Hersteller beschwerte, bekam die Antwort:Big-Hero-6-550x296

Since this is geared toward boys, we chose to focus either on the main characters (in this case Baymax and Hiro), or on just the boy characters.  We have found boys do not want girl characters on their things (eeeww girls! Yuck! Haha).

„Wir haben herausgefunden, dass Jungen keine Mädchen-Charaktere auf ihren Sachen wollen – iiih, Mädchen! Igitt! Haha“

Wie bitte ???

a) Wollen wir die Aussage infrage stellen: wie war wohl das Setting der Umfrage, die zu diesem Ergebnis führte?
b) Und sollte tatsächlich die Mehrheit der Jungen so denken, dann stellt sich die Frage nach den Verursachern, die in der Erwachsenenwelt zu finden sein sollten.
Diese hat die dringende Aufgabe, eine solche Haltung nicht weiter zu fördern, sondern mit allen Mitteln Kinder darin zu unterstützen, aus dieser Denkfalle herauszukommen! Wie soll Miteinander funktionieren, wenn die eine Hälfte von der anderen sagt: „IIiiih, will ich nichts mit zu tun haben“, „Iiih, bloß kein Rosa, das ist ne Mädchenfarbe“, „Hihihi, der Jasper spielt mit Puppen, das ist doch was für Mädchen“?

Damit kein Misverständnis entsteht: es mag sein, dass es in manchen Entwicklungsphasen Abgrenzung braucht. Zur Findung der Geschlechtsidentität gehört dazu, manches Klischee zu übertreiben. Aber Abgrenzung darf nicht Wertschätzung des Anderen ausschließen, Abgrenzung sollte nicht durch Abwertung geschehen. Diesen Unterschied sollten wir Kindern vermitteln. Weibliche Figuren aus einer Geschichte zu streichen, ist dafür sicher nicht der richtige Weg.

9 Gedanken zu „IIiiihh, Mädchen!“

  1. Ich denke, ein Junge, der mit einer Superheldin auf dem T-Shirt in die Schule geht, begeht sozialen Selbstmord. Gewisse Sachen kann man einfach nicht machen.

    Die These „Gendermarketing trägt zu einer stärkeren Geschlechtertrennung bei, es führt die nächste Generation zu weniger Miteinander im Alltag, zu weniger gegenseitem Verstehen, zu mehr Grabenkämpfen.“ halte ich für völlig falsch. Es geht hier nur um Identitätsfindung, eine wichtige Phase in der Kindheit, aber eben nur eine Phase.

    Was hingegen zu Grabenkämpfen etc führt, ist der moderne Feminismus, der Frauen immer nur als Opfer und Männer immer nur als Täter sieht, Privilegien und Förderung speziell für Frauen will, und irreführende Angaben zu Lohnungleichheit Vergewaltigungen macht.

    1. „Feminismus, der Frauen immer nur als Opfer und Männer immer nur als Täter sieht…“
      Immer und nie – funktionieren selten als überzeugendes Argument, auch nicht auf diesem Blog. Anliegen der Rosa-Hellblau-Falle ist, Individualität über die Kategorie Rosa-Hellblau zu stellen, das gilt für Frauen/Mädchen genauso wie für Männer/Jungen. Und sich hier abzuarbeiten an Definitionen bringt uns keinen Schritt weiter z.B. in dem Punkt “ ein Junge, der mit einer Superheldin auf dem T-Shirt in die Schule geht, begeht sozialen Selbstmord. Gewisse Sachen kann man einfach nicht machen.“ Kann man nicht? Warum kann mann das nicht? Genau das ist doch der Punkt! Sorry, aber solange das der Fall ist, stimmt ja wohl was nicht!

      1. Da habe ich mich vielleicht nicht klar genug ausgedrückt. „Immer und nie“ habe ich nicht als Argument gebraucht, sondern als Definition: Welcher moderne Feminismus? Derjenige, welcher Frauen immer nur als Opfer und Männer immer nur als Täter sieht, Privilegien und Förderung speziell für Frauen will, und irreführende Angaben zu Lohnungleichheit Vergewaltigungen macht.

        Diesen Feminismus habe ich gemeint. Und den gibt es tatsächlich. Ich behaupte nicht, dass jeder Feminismus so ist. Aber ich behaupte, dass Ihre These doch sehr steil ist.

        „Warum kann mann das nicht?“ Weil man als Junge dann schnell gehänselt wird. Ist eine Erfahrungstatsache. Muss nicht in jedem Fall zutreffen, das Risiko ist aber real. Man rennt ja auch nicht besoffen mit geschlossenen Augen über die vielbefahrene Straße. Damit will ich nur sagen, dass man es nicht herausfordern muss.

        1. >>“Warum kann mann das nicht?” Weil man als Junge dann schnell gehänselt wird. Ist eine Erfahrungstatsache.
          Da sind wir ja einer Meinung, und genau das ist Thema unseres Buches + Blogs, hier z.B. *hier*.

          Sind Sie denn einverstanden damit, dass Jungen sich verstellen, sich anpassen müssen, wenn sie eigentlich gerne mit Puppenhäusern spielen, auch gerne das rosa Fahrrad der großen Schwester übernehmen würden? Finden Sie es in Ordnung so, dass sie dafür ausgegrenzt werden? – Und da spielt Gendermarketing eben eine wichtige Rolle, das viele Interessen nur dem einen Geschlecht zugestehen möchte. – Wir fanden es schade, dass unser Sohn sich mit 6, 7 Jahren zwar sehr fürs Tanzen interessiert hatte, dann aber nach vielen eingesteckten Kommentaren doch lieber mit seinen Freunden zum Fußballtraining gegangen ist … was daran ist freiwillig und eigene Entscheidung?
          Wenn Sie es auch schade finden, dann lassen Sie uns doch gemeinsam überlegen, was wir als Erwachsene tun können, dass unsere Kinder ihre Persönlichkeiten wirklich frei entfalten können.

          Schöne Grüße von Sascha

          1. Das finde ich auch schade, wenn er deswegen nicht tanzen gehen kann, andererseits sehe ich nicht viel, was man dagegen machen kann. Am effektivsten ist es vielleicht, wenn man das Gespräch mit den anderen Kindern und deren Eltern sucht.

            Für potenziell katastrophal halte ich staatliche Maßnahmen: „So spielten Dissens-Mitarbeiter bei einer Projektwoche mit Jungs in Marzahn einen „Vorurteilswettbewerb“, an dessen Ende die Erkenntnis stehen sollte, dass sich Männer und Frauen viel weniger unterscheiden als gedacht. Es entspann sich eine heftige Debatte, ob Mädchen im Stehen pinkeln und Jungs Gefühle zeigen können, Sätze flogen hin und her. Am Ende warfen die beiden Dissens-Leute einem besonders selbstbewussten Jungen vor, „dass er eine Scheide habe und nur so tue, als sei er ein Junge“, so steht es im Protokoll.

            Einem Teenager die Existenz des Geschlechtsteils abzusprechen ist ein ziemlich verwirrender Anwurf, aber das nahmen die Dissens-Leute in Kauf, ihnen ging es um die „Zerstörung von Identitäten“, wie sie schreiben. Das Ziel einer „nichtidentitären Jungenarbeit“ sei „nicht der andere Junge, sondern gar kein Junge“.“

            http://www.spiegel.de/spiegel/a-457053.html

            Wenn dann sowas rauskommt, dann ist der Schaden noch zehnmal größer. Typischerweise ist das Resultat solcher Veranstaltungen, dass das normale Verhalten von Jungs schlecht und das von Mädchen gut ist. Die systematische Identitätszerstörung einer ganzen Generation von Jungs wäre katastrophal.

          2. Jetzt sind wir also bei Dissens gelandet. Da weder Spiegel-Autor René Pfister dabei war – sonst müsste er nicht aus Protokollen zitieren – und wir beide auch nicht, ist es schwierig, wirklich zu beschreiben und vor allem zu bewerten, was da passiert ist, wie es eingeleitet und aufgefangen wurde, welche Gespräche mit dem Jungen vorher und nachher geführt wurden. Allerdings finde ich es schon etwas mutwillig, wie Sie auf unserem Blog, bei dem ursprünglichen Thema und bisherigen Gesprächsverlauf den Bogen spannen zu Dissens.

            Worum geht es hier? Ausgangspunkt war doch das Thema ‚Gendermarketing‘ und sein Einfluss auf das Heranwachsen unserer Kinder. Und ein bisschen weniger davon, weniger tanzende Elfen und Mädchen im rosa Tütü, ein paar weniger Jungs in technoid-abenteuerlicher Spielumgebung, ein paar Jungs mit Puppen und wilde Mädchen in der Werbung und auf Spielwarenverpackungen würden den sozialen Druck nehmen von all den Kindern, die sich in den vorgeschriebenen Rollenmodellen nicht wohl fühlen, die gerne mehr von dem hätten, was durch besagte Marketingstrategien dem anderen Geschlecht vorbehalten scheint.
            Was man da machen kann? Ja, mit anderen Eltern und Kindern reden, ist auch ein wichtiger Schritt, der aber die grundsätzliche Ausrichtung unserer Gesellschaft nur bedingt zu verändern vermag. Gerade auch die Unternehmen mit ihren milliardenschweren Marketingetats sind da in der Verantwortung … und darunter verstehe ich etwas anderes als das, was sie so gerne als Corporate Social Identity vor sich hertragen.

          3. Wir sind tatsächlich etwas abgeschweift, beide. Als mutwillig würde ich das nicht bezeichnen. Sie haben zur Diskussion eingeladen, was man zur freien Entfalten der Persönlichkeit der Kinder tun kann, und ich habe eine, wie ich finde, gute Möglichkeit aufgezeigt und eine schlechte. Und dann sind wir halt bei Dissens.

            Wir sind nun einmal unterschiedlicher Meinung bezüglich der Wirkung des Gendermarketings und können es beide nicht belegen, sondern einfach nur unsere Meinung kund tun. Ich glaube nicht, dass es Ihr Sohn bezüglich tanzen irgendwie leichter gehabt hätte ohne irgendwelches Gendermarketing. Es ist die Grundthese des Genderismus, dass alle Geschlechterunterschiede rein anerzogen sind. Ich halte das für relativ läppisch, nicht zuletzt, weil überall auf der Welt, in allen Kulturen, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern ähnlich sind.

          4. Wir sind nun einmal unterschiedlicher Meinung bezüglich der Wirkung des Gendermarketings und können es beide nicht belegen,

            Es ist ein Allgemeinplatz, dass Werbebotschaften uns beeinflussen, sonst würde kein Milliardenaufwand um sie betrieben. Wir haben ein Buch geschrieben über Rollenklischees im Alltag von Kindern, in dem zu jedem Bereich eine Vielzahl an Studien versammelt sind, die zeigen, dass Kinder (wie Erwachsene) weniger individuelle Entscheidungen treffen, je mehr ihnen Botschaften über richtig, falsch, typisch, normal … vermittelt werden. Nichts anderes tut Werbung. Kinder wachsen in die Regelwelt der Erwachsenen hinein und übernehmen deren Abläufe und Werte. Wenn wir also etwas ändern wollen (s.Beginn unserer Diskussion), müssen wir die Botschaften ändern, die wir weitergeben, nicht nur in der Werbung, auch in den Geschichten, die wir erzählen, den Filmen und Videospielen, gerade auch in unserem eigenen Sprechen und Verhalten. Für eine verallgemeinernde Diskussion um den Begriff Genderismus, wo es hier doch um ein ganz konkretes Anliegen geht, bietet dieser Blog keine Plattform.
            Nichts für Ungut, Sascha

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