In seinem aktuellen Katalog bietet das Versandhaus Walz Kinderzimmermöbel „Für echte Rennfahrer“ und „Für echte Mäuschen“ an. Auf Twitter hatten wir uns mit @babywalz-news über diese Wortwahl ausgetauscht und parallel dazu eine Presseanfrage geschickt, auf die wir zunächst nur einen Einzeiler zur Antwort erhielten. Letzte Woche kam dann überraschend ein Anruf von Geschäftsführer Mike Weccardt, der um ein persönliches Gespräch bat.
Dass Gendermarketing die Welt klischeehaft in männlich und weiblich einteilt, um mit zwei getrennten Zielgruppen den Umsatz zu steigern, haben wir auf diesen Seiten schon mehrfach kritisiert. Besonders ärgern wir uns dann, wenn Gendermarketing vorgibt, Zukunftsträume von Kindern spielerisch umzusetzen und auf diesem Weg alle Projekte verhöhnt, mit denen Mädchen und Frauen für MINT-Berufe gewonnen werden sollen und Jungen wie Männer für den Care-Bereich. Das hat zur Folge, dass Mädchen und Jungen, wenn sie in die weiterführende Schule gehen und in der fünften Klasse zum ersten Mal am jährlichen Girls‘ beziehungsweise Boys‘ Day teilnehmen, schon tausende von Werbebotschaften in Geschäften, auf Plakaten, in Spots und auf Verpackungen gesehen haben, die ihnen stereotyp vermitteln, dass Jungen Sieger sind und später mal Rennfahrer, Feuerwehrmann oder Mathematiker werden und dass im Gegensatz dazu Mädchen süße Mäuschen sind, ihr Berufsziel reduziert sich dann in aller Regel auf, ja: Prinzessin!
Der folgende Spot macht uns besonders sprachlos: Muttern weiß Bescheid – Vater? Abwesend. Sohn wird Mathematiker, Naturwissenschaftler, Forscher, Bergsteiger… – Tochter? Ballerina. Echt klasse, hippe Idee einer Werbeagentur, deren MitarbeiterInnen sich bestimmt für fortschrittlich, aufgeklärt und gleichberechtigt halten. Und die nächste Generation? Oooch, nach uns die Sintflut!
Auch Tchibo reitet auf dieser Welle, die Bettwäsche für Astronauten und Prinzessinnen ist nur eines von vielen Beispielen. Nun hat das Unternehmen immerhin auf die Kritik von Pinstinks hin seine Haltung zum Thema Gendermarketing veröffentlicht. Zwei Produktmanagerinnen, Ricarda und Anina, antworten auf harmlose Fragen und wischen alle Kritik vom Tisch: „Warum sollen Kinder die rosa Phase nicht einfach durchmachen dürfen?“ Botschaft: Wir übertreiben alle maßlos, und das Unternehmen meint ’s doch nur gut. Dass Tchibo mit seinem rosa Sortiment ausschließlich Mädchen anspricht und weniger Produkte, sondern vor allem Rollenklischees von Häuslichkeit und Schönheit vermittelt, kommt nicht zur Sprache. Auch nicht, warum Autos und Flaschenöffner für „echte Männer“ beworben werden. Die Reaktion von Pinksstinks fällt deshalb auch entsprechend aus. Kurzum: wie erwartet sieht Tchibo die Verantwortung bei den Käufer*innen, und die Antwort, die wir schon nicht mehr hören mögen, lautet auch hier wieder: „Der Markt liefert nur, was der Kunde will“.
Liebe Freunde und Rechtfertigerinnen des Gendermarketing: Der Markt ist kein seelenloses Etwas, der Markt besteht aus vielen, in unserem Fall zudem kleinen Wesen, die ein grundgesetzlich verbrieftes Recht haben auf die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Aussagen wie die von Tchibo („Das Gesellschafts-Selbstbild von Mädchen heute ist: Schönsein. Es gibt eine große Fixierung auf das Äußere, die Haare müssen lang sein, der ganze Look feminin. Topmodels und Superstars sind die Vorbilder, nicht Astrophysikerinnen.“) bewirken und bezwecken das Gegenteil. Und auch auf der anderen Seite gibt es keine unpersönliche Marketingstrategie, sondern jeder Werbespot, jede Anzeige, jedes Bild und jeder Text, jedes Produktdesign und jede Verpackung wurde von Menschen erdacht, entwickelt, umgesetzt, überprüft und dann zu Markte getragen. Verantwortung lässt sich also nicht so einfach und beliebig delegieren. Schon gar nicht, wenn man auf die 30 Milliarden Euro (€ 30.000.000.000 !) blickt, die die Werbewirtschaft laut eigenen Angaben in Deutschland Jahr für Jahr umsetzt, Tendenz steigend.
Seine Rechtfertigung bezieht das Gendermarketing aus der Marktforschung: „Studien haben ergeben, dass…“. Doch anstatt Umfragen als „Studien“ aufzuwerten und damit Wissenschaftlichkeit zu implizieren, wie wäre es stattdessen mit etwas Grundlagenforschung zu den Themen „Minimalgruppenparadigma“, „Fremdgruppenhomogenitätseffekt“ und „Stereotype Threat“. Und dann können wir gerne noch einmal darüber sprechen, wie Kinder durch Gendermarketing in ihrer Wahlfreiheit beeinflusst werden. Und was das tatsächliche Ziel der einzelnen Unternehmen ist, dass sie diese Wahlfreiheit auf Klischees beschränken.
Die Spielwarenmesse, die aktuell in Nürnberg läuft, trägt jedenfalls wenig Ermutigendes bei: Auch Ravensburger hat jetzt rosa Highheels im Programm, als Puzzlespiel. GNTM-Kandidatin Rebecca Mir findet: „Für kleine Mädchen ist das ein kindliches Herantasten an die echten High Heels!“ Model ist inzwischen übrigens unter den Top 5 der Traumberufe von Mädchen. Das war beileibe nicht immer so.
Wir finden es grundsätzlich gut, wenn sich ein Dialog entwickelt, allein deshalb hat uns der Anruf von Mike Weccardt von BabyWalz gefreut. Wirklich überrascht hat uns, dass er sich wünschte, die Doppelseite des Katalogs für Mäuschen und Rennfahrer wäre anders getextet worden, weil er als Manager, Mensch und Vater polarisierendes Gendermarketing nicht gutheißen kann. Da war keine oberflächliche Rechtfertigung, wie sie Tchibo in seinem Fake-Interview betreibt und wir sie bisher ausnahmslos von Marketingleuten zu hören bekommen haben, sondern leise Töne und die Bitte, weiter im Gespräch zu bleiben, auch weiter zu kritisieren, wenn es nötig ist. Wir fangen jetzt mal an mit diesem Lob, und hoffen, dass unsere und die Kritik anderer etwas bewirkt. Nils Pickert von Pinkstinks berichtete im letzten Sommer von guten Gesprächen mit Jako-o darüber, „firmeninterne Leitlinien zu entwickeln, die gegen Sexismen und Ausgrenzung wirken“. Wir hoffen, dass es bald mehr Unternehmen geben wird, die bereit sind, soziale Verantwortung zu übernehmen und anzuerkennen, dass ihre Werbekampagnen mit vorgestrigen Rollenbildern und Berufszielen das Weltbild unserer Kinder mit beeinflussen. Die Verantwortung dafür einseitig den Eltern zuzuschieben ist unredlich. Deshalb hätten wir natürlich gut gefunden, Babywalz hätte sich nicht nur im privaten Gespräch, sondern öffentlich zur Mäusschen- und Rennfahrer-Seite geäußert. Vor allem aber sind wir gespannt, ob die Marketingabteilung in Zukunft tatsächlich sensibler agieren wird, wie sie es ankündigt, und ob hier tatsächlich ein Unternehmen auf die Strategie der rosa-hellblauen Klischees verzichtet. Zu hoffen wäre es.
Hallo ihr Beiden,
ich habe euer Buch schon vor einer Weile gelesen und mich sehr darüber gefreut, dass es neben Cordeliah Fine’s Übersetzung von Gender Delusion endlich auch ein deutschsprachiges, vergleichsweise niedrigschwelliges Sachbuch zu Erziehung und Gender gibt. Und nun bin ich über euer blog gestolpert, dass ich ersteinmal gründlich durcharbeiten muss! Was haltet ihr denn von diesem kleinen Marketing-Fundstück (Achtung, Eigenwerbung: http://bistduetwaeinmaedchen.blogspot.de/2015/03/gendermarketing-unter-der-lupe.html)? Ich kann mich immer noch nicht so recht entscheiden, ob ich darüber lachen, oder weinen soll!
Viele Grüße,
Sabine
„für ein paar schuhe wird’s schon reichen. ist ja gerade wsv.“
Hallo Sabine, danke für die nette Rückmeldung. Und den Link zur sparsamen Bankräuberin, na super! *g*