Rosa-Hellblau-Falle in Schulbüchern

Weil sich in Österreich der Bundesverband der Elternvereine gegen eine geschlechtergerechte Sprache in Schulbüchern ausgesprochen hat, sind „gegenderte Schulbücher“ Anlass, um mal wieder über die Ideologie des „Genderismus“ im Allgemeinen und das generische Maskulinum im Speziellen zu diskutieren. Vorschläge, beide Geschlechter in der deutschen Sprache sichtbar zu machen, werden weggewischt, weil umständlich und schwer lesbar oder überhaupt weil man sich von der Sprachpolizei nichts sagen lassen möchte.
Wie wäre es, Binnen-I, Sternchen und Professx einfach mal kurz stehen zu lassen, und dafür all die anderen rosa-hellblauen Klischees wahrzunehmen, die in Schulbüchern stecken, die hier und heute verwendet werden?

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Ein von @thomas_mohr getwittertes Bild, die Seite aus einem Englischbuch von 2013 gab Anlass zu Diskussion und Statements über klischeehafte Aussagen in Schulbüchern. Die Aufgabe: „Was ist typisch für ein Mädchen? Was ist typisch für einen Bub?“ Vorschläge, die die Kinder mit M für Mädchen oder B für Bub kennzeichen sollten: Sie sind leise im Unterricht / Sie reiten gern / Sie spielen mit Puppen / Sie haben kurze Haare … „Beide“ anzugeben ist nicht vorgesehen. Nun kam der Einwand, dass ja im dazugehörigen Lehrer*innenheft dazu auffordert werde, Geschlechterrollen mit der Klasse zu diskutieren. Auf Seite 113 steht dort allerdings nur:

Ideen zur Unterrichtsarbeit: SB S. 33, Aufgabe 1 – Ausgehend von Unterschieden im Verhalten, im Aussehen, in Vorlieben bzw. Abneigungen von Mädchen und Buben werden anschließend die Gemeinsamkeiten definiert (AH, S. 20). Es wird dabei deutlich, dass es zwar Eigenheiten der Geschlechter gibt (typisch Mädchen bzw. typisch Bub), jedoch die einzigen „echten“ Unterschiede die Geschlechtsteile sind. (Aus: Das Lasso Sachbuch-Englisch 1/2, LehrerInnenband, 978-3-209-07423-2, Stgt 2009, Wien 2013)

Ich fürchte, dass das Wissen und das Bewusstsein vieler Pädagog*innen nicht ausreicht, um die auf der Schulbuchseite gelegten Klischees im Gespräch ernsthaft infrage zu stellen und für die Kinder wieder zu öffnen. Denn leider ist ja nach wie vor die Mehrheit davon überzeugt, dass Jungen und Mädchen nunmal unterschiedliche Interessen und Verhaltensweisen hätten und findet auch gar nichts Negatives daran. In KiTas wurden dazu Studien und Projekte durchgeführt, die Mehrheit der PädagigInnen und Eltern geht davon aus, Kinder „neutral“ zu erziehen, und ist sich in keiner Weise bewusst, wie sehr die Vorstellungen von „richtigen“ Jungen und von „echten“ Mädchen das eigene Verhalten beeinflusst. Ich nehme an, für den Grundschulbereich lässt sich Ähnliches feststellen.

"Kreise die Fehler ein" Quelle: @Luii_Luise auf Twitter

„Kreise die Fehler ein“, 2003 eingesetztes Schulbuch* Foto by @Luii_Luise auf Twitter

Und so blieb mit großer Wahrscheinlichkeit auch der oben eingekreiste nähende Vater und der Junge mit Puppe als „Fehler“ unwidersprochen. Aus einem Schulbuch, das @Luii_Luise auf Twitter gepostet hat. Gehen wir trotzdem einmal davon aus, dass Lehrerinnen und Lehrer im Thema Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit so gut aus- und fortgebildet sind, dass Buchseiten dieser Art im Deutsch und Englisch-Unterricht von ihnen in Gesprächen mit Kindern gut aufgefangen werden können. Dann frage ich mich, warum es im Mathebuch weitergeht mit den alten Klischees: Denn während ich im Internet die Debatte um eine geschlechtergerechte Sprache in Schulbüchern verfolge, sitzt meine neunjährige Tochter über ihren Mathehausaufgaben und soll ein Balkendiagramm zeichnen, in Rosa und Hellblau. Daneben die Zahlen dazu, Grundlage sind fiktive Daten zu Hobbys von Mädchen und Jungen. Das von meiner Tochter gezeichnete Diagramm führt ihr und uns anschaulich vor Augen: Reiten ist was für Mädchen, Computer ist was für Jungs. Hallo ?? Es muss doch möglich sein, ein Mathebuch zu schreiben, das ohne derartiges Schubladendenken auskommt. Und Statistik ist keine Ausrede, Kinder überholtes Schubladendenken in Rosa und Hellblau malen zu lassen. Mädchen und Jungen wollen dazugehören, sie wollen keine Außenseiter sein. Doch wir zeigen ihnen täglich in jedem nur denkbaren Bereich, was sie dafür tun müssen, was „typisch“ und damit „normal“ ist für die jeweilige Schublade. Und dann wundern wir uns, warum der Sohn sich so wenig für Puppen interessiert oder warum die Tochter sich trotz guter Noten gegen das Mathestudium entscheidet. Da muss dann wohl die Biologie Schuld sein, denn wir? Sind’s ja nicht.  #keinePointe. Rosa-Hellblau-Mathe3    
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Nachtrag vom 8.2.2015: Ein Artikel aus der Zeit, ein Jahr alt, über eine Lehrerin, die mit ihrer Klasse das Gespräch sucht. Ich hoffe, es gibt ganz viele solcher Lehrerinnen und Lehrer, denn sie können die o.g. Klischees in Schulbüchern gut auffangen. Und die Kommentare unterm Artikel zeigen, wie nötig die Diskussion ist.