Equal-Care-Day: er sieht den Dreck nicht, sie ist pingelig?

Bitte kein Heute-putzt-mal-der-Mann-Gedenktag!

Wir setzen uns dafür ein, den 29. Februar als Equal-Care-Day einzuführen, um an diesem zusätzlichen Tag im Schaltjahr auf die mangelnde Wertschätzung und ungerechte Verteilung von Care-Arbeit nicht nur, aber gerade auch in Deutschland aufmerksam zu machen. Die ungleich verteilte Hausarbeit, die ZEIT ONLINE anlässlich unserer Equal-Care-Day-Idee in den Fokus nimmt,  ist zwar Teil dieses Themenkomplexes, doch wir wünschen uns vor allem mehr Aufmerksamkeit für Care-Arbeit im Sinne von Fürsorge, beruflich wie privat, also Kinderbetreuung, Pflege von Alten, BeHinderten, Kranken und auch dem eigenen Körper, sich selbst gegenüber. Denn leider hat sich unsere Gesellschaft dahin entwickelt, dass die Arbeit mit und an Maschinen mehr Lohn und mehr Wertschätzung verdient, als jene, bei der Menschen im Mittelpunkt stehen. 

 Doch offensichtlich regt der Text von Tina Groll viele dazu an, sich übers Putzen, Waschen, Kühlschrank Füllen Gedanken zu machen. Und weil sich in den Kommentaren die #rosahellblaufalle öffnet, sich ein „Ihr Frauen“ vs. „Wir Männer“ und andersherum ausbreitet, wollen wir auch zu diesem Aspekt ein paar Zeilen schreiben. 


Geschlechterkampf ??

Wieso lassen sich so viele in der Diskussion um Zuständigkeiten und Rollenbilder auf ein Gegeneinander ein und unterstützen damit jene, die in unterschiedlichen Kontexten von „Geschlechterkampf“ schreiben? Wir leben in einer Zeit, in der jede dritte Ehe geschieden wird, homosexuellen Paaren die Fähigkeit abgesprochen wird, Kinder großzuziehen, und viele Kinder mit nur einem Elternteil aufwachsen. Eine Zeit, in der gleichzeitig Fernsehshows „Jungen gegen Mädchen. Der Kampf der Geschlechter“ konzipiert werden und der Kinofilm, der Star Wars von Platz eins der Kinocharts verdrängt hat, den Untertitel „Jungs gegen Mädchen“ trägt. Nicht zu sprechen vom Konzept des Gendermarketing, das seit gut 10 Jahren darauf setzt, uns weiszumachen, Frauen und Männer hätten von Grund auf unterschiedliche Interessen, bräuchten verschiedene Versionen von Chips, Bratwürstchen und Socken, von Fahrrädern, Armbanduhren und Nassrasierern. Eine Werbestrategie, die auf ein geschlechtergetrenntes Angebot setzt, als lebten Frauen und Männer in zwei grundsätzlich getrennten Welten. Welchen Nutzen haben wir dadurch? „Ist doch schön, dass es Unterschiede gibt“, argumentieren die Gegner*innen geschlechtergerechter Pädagogik und kaufen Bücher mit Mars und Venus oder Einparken und Zuhören im Titel. Comediens machen Witze über Seine Einsilbigkeit und Ihre Geschwätzigkeit und wir helfen mit, dass sie damit Turnhallen füllen. Welchen Nutzen sehen wir darin, in einen „Geschlechterkampf“ einzusteigen und dabei zu behaupten, alles wäre nur lustig gemeint, und sowieso gäbe es biologische Gründe für diese Unterschiede? Biologische Gründe für geschlechtergetrennte Deo- und Shampoo-Regale? Und worin bitte liegt der Nutzen bei rosa-geblümten und hellblauen Alternativen bei Putzmitteln für die Scheibenwischanlage? Womit wir zurück wären beim Streit ums Putzen. Nein, bei der Frage, ob das Putzen einen Streit wert ist. Denn die Frage „Wie könnten wir es gemeinsam besser hinbekommen?“, würde dem Thema gut tun. Stattdessen entscheidet sich die Mehrheit für Schuldzuweisungen, Herabsetzungen und Rechthabereien, dies und jenseits des Grabens, der tiefer wird, wenn wir uns nicht endlich unserer Gemeinsamkeiten bewusst werden.

„Frauen sind eben einfach pingeliger!“ ?

Die Entbrannten argumentieren vor allem um zwei Aspekte herum:

1) DIE Männer sähen den Dreck nicht vs. Frauen wären pingelig und bräuchten unnötig Zeit für etwas, das sich schneller erledigen ließe.

2) Frauen übernehmen zwar mehr, dafür arbeiten Männer an anderen Stellen mehr, die da wären: Rasenmähen, Ernährerrolle und Überstunden, Tagebau, Krieg und andere körperliche und seelische Lasten, für die Frau sich zu fein sei (inklusive Plädoyer für eine Quote bei der Müllabfuhr), weshalb Männer im Durchschnitt auch 5 Jahre kürzer leben als Frauen.

„Männer sterben überwiegend aus sozioökonomischen und psychosozialen Gründen 5 Jahre früher als Frauen. Wann wird endlich mal auf diese Ungleichheit hingewiesen?“

Und genau DAS ist der Punkt, deshalb wollen wir einen Equal-Care-Day einführen: Denn SIE ist nicht Schuld, dass sie den Dreck sieht, bevor ER darauf achtet. Es ist auch nicht SEINE Schuld, wenn er es wichtiger findet, die richtigen Getränke im Haus zu haben, wenn Freunde sich angekündigt haben. Sie ist nicht „selbst Schuld“, wenn sie länger braucht, kleinlich ist beim Aufräumen, noch schnell durchsaugt, bevor der Besuch kommt, während er keinen Anlass, keinen Fussel sieht. Auch ER ist nicht Schuld, wenn er der Ansicht ist, sie übertreibe, das Wohnzimmer sei aufgeräumt genug.

„Auch in meiner Ehe macht meine Frau einen Großteil der Hausarbeit – nicht, weil ich sie faschistoid unterdrücke oder heteronormativ-patriarchalisch in die soziokulturelle Schublade „Ehefrau“ einsortiere, sondern weil ich schlicht und einfach zu schlampig bin“ – Kommentar unter o.g. Zeitonline-Artikel

„Natürlich habe ich es viel leichter, das zu sagen, denn das Ergebnis meiner Haltung ist ja: ich muss nichts tun. Das ist ja wunderbar und gemütlich und bequem. Aber wieviel innere Freiheit kann ich mir gegen diese Gewohnheit erkämpfen, muss ich kämpfen oder geht’s nicht auch anders? Und in welchem Maße sollte die andere Seite, dass ich z.B. sage: >Hey, fege doch lieber, wenn die Gäste weg sind, dann lohnt es sich wenigsten, ne!< Ist das jetzt meine Schlampigkeit? Die mit mir als Person zu tun hat? Unabhängig von Geschlecht? Oder ist das auch so eine Nummer, die entsteht durch: >Naja, die Jungs räumen halt nicht auf, machen nicht sauber, die bringen halt Dreck<. Das ist schwer zu trennen. Wieso finde ich es nicht schlimm, dass es dreckig ist, wenn Besuch kommt? Ist das, weil ich es gelernt habe, dass ich das nicht schlimm finden muss, oder ist das, weil ich das aus welchen Gründen auch immer nicht … so wie ich das Bett auch nicht immer mache, wenn ich aufstehe …?“ Marcus im Interview für die Lange Nacht der Geschlechterrollen, Deutschlandfunk

Sie hat gelernt, sich zuständig zu fühlen. Sie hat gelernt, dass sie als Frau verantwortlich sei, sich um ein gemütliches, sauberes Wohnen zu kümmern. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie schon als Kind ihrer Mutter mehr helfen musste, als ihr Bruder. Und selbst wenn ihre Eltern ihr andere Rollenbilder vorgelebt haben, so hat sie im Lauf ihres Lebens hunderte Werbebotschaften über ihre Rolle als Frau gesehen. Darunter viele Werbespots und Anzeigen, die klar machen: Beim Staubsaugerkauf entscheidet er vielleicht noch mit (klar, erstens geht’s um Technik und zweitens ist es sein Geld?!), aber Putzen ist Frauensache …

…wohingegen es bei ihm auf ein paar Krümel nicht ankommt. Der Geizmarkt behauptet noch im Jahr 2015, Staubsauger seien ein passendes Geschenk zum Muttertag. Werbespots für Küchen oder Putzkram, in denen ein Mann auftritt machen klar: ihn fasziniert nicht das Essen in der Pfanne, sondern die Ultra-Laser-Herdtechnik: Platte heiß von 0 auf 100 in 30 Sekunden. Ein richtiger Mann braucht es unkompliziert und schnell, Salat ist nur Deko und auf Besteck würde er am Liebsten verzichten. Deshalb muss er in Spots auch häufig als Haushaltstrottel herhalten, dem sie aus der Putz-Pfütze hilft. Trotzdem entlassen wir sowohl Werbung als auch Väter aus der Verantwortung. Schuld sind die Mütter, schließlich sind sie es, die die nächste Generation Machos aufziehen.

Ungleiche Erwartungshaltung an Töchter und Söhne

Dabei werden bis heute Töchter mehr als Söhne dazu aufgefordert, mit anzufassen, wenn es darum geht, den Tisch abzuräumen, das Wohnzimmer zu saugen, dem kleinen Geschwister die Schuhe zu schnüren. Bis heute bekommen Söhne mehr Taschengeld als Töchter, das sie zudem noch aufbessern können, indem sie Rasenmähen, Straßen kehren oder Schnee schippen – Aufgaben, für die es extra Geld gibt und die Mädchen seltener zugetraut werden, obwohl sich unterschiedliche Muskelkraft doch erst ab der Pubertät bemerkbar macht.

Es liegt weder in Seiner noch in Ihrer persönlichen Verantwortung, dass Männer im Durchschnitt fünf Jahre früher sterben als Frauen, und doch wird dieser Missstand unter jedem Artikel wieder erneut aufgeführt, der in irgendeiner Form von einer Benachteiligung von Frauen spricht. Wir alle sind Teil eines Systems, das Kindern von klein auf beibringt, Jungs könnten ruhig etwas kräftiger mit anpacken, für sie sei es wichtig, sich mit anderen in Mutproben zu messen, und wenn sie sich weh tun, appellieren wir an ihren Stolz und ihre Männlichkeit, während Mädchen in vergleichbaren Situationen meist aufgefordert werden, das nächste Mal doch vorsichtiger zu sein, mehr auf den eigenen Körper achtzugeben, auf seine Unversehrtheit. Warum gilt nicht für beide gleichermaßen: Empathie lernen, Rücksicht nehmen auf sich und andere, nicht mehr, sondern weniger arbeiten, wenn ein Kind unterwegs ist, die eigene Ernährerrolle infrage stellen …

Wenn Er also andere Baustellen früher erkennt, und wenn Sie sich im Haushalt eher zuständig fühlt, dann ist das gelernt, es liegt nicht in ihrer „Natur“, sondern wir reproduzieren täglich das Klischee der weiblichen Fürsorge. Bis heute schafft es ein Politiker als Super-Papa in die Schlagzeilen, nur weil er sich fürs kranke Kind mal frei nimmt. Bei einer Politikerin, die Vollzeit arbeitet, wird angezweifelt, ob sie die Balance Job und Familie wohl hinbekommt.

 


Die Botschaft ist klar und wird so auch öffentlich in Worte gefasst: Mutti hat zu funktionieren, sie nimmt sich nicht frei:

Wer jetzt einwenden möchte, das System, die Gesellschaft, das sind doch wir selbst, deshalb sei schließlich jede*r für sich selbst verantwortlich, wieviel sie*er sich anpasst oder eben keine Rücksicht nimmt auf die Meinung der Nachbarn … und der Eltern … und Freund*innen … der Vorgesetzten….

Halbtagsjob für Ihn, damit er mehr Care-Arbeit übernehmen kann? Eine freie Entscheidung? Wohl kaum. Es ist eben nicht so, dass die Mehrheit ein zu geringes Selbstbewusstsein hat, um für sich selbst einzustehen. Und es ist auch nicht so, dass wir alle unzufrieden wären mit der Rollenaufteilung des Biedermeier. Aber wenn uns die jetzige Situation nicht gefällt, weil sie denjenigen, die anderes wünschen, als es die rosa-hellblau-Zuordnung vorsieht, ein überdurchschnittliches Engangement und Selbstbewusstein abverlangt, und wenn wir uns für die nächste Generation mehr Wahlfreiheit wünschen, dann müssen wir die Rahmenbedingungen ändern. Vor allem müssen wir aufhören, uns gegenseitig die Schuld zuzuschieben und es der*m anderen vorzuwerfen, wenn er oder sie Verhaltenweisen oder Entscheidungen an bestehende Rollenbilder angepasst hat.

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Wir sind dankbar für die viele, positive Resonanz auf unseren Vorschlag für dieses Anliegen einen Erinnerungstag einzuführen. Nach wie vor freuen wir uns über UnterstützerInnen, die auf diesen Tag hinweisen, den Hashtag #EqualCareDay teilen und unsere Idee weiterverbreiten.

–> Zur Inspiration hier ein paar Fragen.