„Nicht die Kommentare lesen! – Nicht die Kommentare lesen! – Nicht die Kommentare lesen!“ – mein Mantra bei der Lektüre von Artikeln über Gleichstellung und Familienarbeit oder Gendermarketing und Prinzessinnen wirkt nicht so recht, ich verliere mich immer wieder in den wilden Auseinandersetzungen um WIR gegen EUCH im Kommentarbereich. Vielleicht sollte ich es nicht so ernst nehmen? Bin ich humorlos, wenn ich „Geschlechterkrieg“ nicht „witzig“ finde, sondern dieses pauschale Gegeneinander allein aufrund des Geschlechtes ganz grundsätzlich infrage stelle?
„Witziger Krieg“?!
Hallo @gabonn-Sprachprofis,selbst wenn Ihr „Supermachos“ lustig findet,was soll die Überschrift? pic.twitter.com/l9e9WDV2CL— Rosa-Hellblau-Falle (@machmirdiewelt) 7. Februar 2016
Am meisten frustriert mich, wenn SchreiberInnen den Begriff „Gender“ synonym verwenden mit „Gleichmacherei“, „Geschlechter abschaffen“, „umprogrammieren“, Kinder „verbiegen“. Die „Genderideologen“ wollten Kindern vorschreiben, womit sie zu spielen hätten, wo sich Jungs nun mal mehr für Technisches interessierten, Rollenspiel und Puppen sei eben nicht ihrs, das läge nicht in ihrer Natur. Es folgen die üblichen Argumente, für die gerne auf die Begriffe Steinzeit, Testosteron und Gene zurückgegriffen wird (Antworten darauf haben wir hier schon einmal versammelt).
Nun habe ich gestern via Twitter eine Art Brief des Wetterauer Boten gelesen, der mit seinen beiden letzten Sätzen zeigt, wie sehr Kinder bevormundet und eingeengt werden, wenn die Erwachsenen um sie herum in der Rosa-Hellblau-Falle feststecken und ihre engen Rollenbilder weitergeben. Und warum die kritische Auseinandersetzung damit = geschlechtergerechte Pädagogik (oder „Gender“) mit Individualität und Wahlfreiheit zu haben:
Das Kleid passt und „er findet sich wunderschön darin“. Damit wäre doch eigentlich alles gut, oder? Aber nicht für Boto. Ein Sechsjähriger, der sich als Fee verkleiden möchte, passt offenbar nicht in das Weltbild des Autors (Ich unterstelle mal, dass ein Mann diesen Brief geschrieben hat. Es sind überwiegend Väter, die ein Problem damit haben, wenn der Sohn mit Puppen spielt und ein rosa T-Shirt tragen möchte, und Mütter jene, die das Verbot dann durchsetzen müssen). Dass vermeintlich Weibliches für Jungs tabu ist, gilt schließlich das ganze Jahr über: Rosa ist verdächtig, Puppenspiel ist verdächtig, Ballett geht auch nicht. Warum nicht? Er könnte schwul sein, Alarmstufe Pink! (Welch schräger Gedankengang, dass sich das durch ein Tanz- oder Feenkostüm-Verbot rückgängig machen ließe, von der diskriminierenden Haltung dahinter ganz zu schweigen…)
Nun war zwar Karneval der Anlass für das oben erwähnte Feenkostüm, aber selbst während der „jecken“ (= albern! närrisch!) Jahreszeit haben sich Kinder an die Grenzvorgaben der Erwachsenen zu halten. Folgerichtig wendet sich für den Autor die Geschichte erst dann zum Guten, als die Mutter dieser absurden Idee ein Ende setzt und den Jungen überredet (?) sich als Ritter zu verkleiden. So viel zur Theorie, Kinder selbst entscheiden zu lassen. „Zum Guten gewendet“. Für wen? Die Erwachsenen offensichtlich. Mal wieder.
Die gute Absicht, dem Jungen starre Geschlechterbilder zu ersparen, in Ehren, aber ich finde es bei solchen, über mindestens drei Ecken erzählten Geschichten unmöglich, angemessen zu urteilen, ohne zu pauschalierend zu werden. Kinder können ja gerade in diesem Alter auch sehr gemein zueinander sein. Andere Mütter möglicherweise auch. (Ich habe keine Kinder, kann daher nicht mitreden.)
Ich bin übrigens selbst in der Wetterau aufgewachsen, die besagte Zeitung war schon immer eher konservativ. Wenn ich vor zehn Jahren, als ich noch öfter dort war, jeden Artikel kommentiert hätte, der meiner grün-linken Weltanschauung widerspricht, hätte ich gar keine Freizeit mehr gehabt. ;-)
Wir haben den Artikel aufgegriffen, weil er
a) eine Szene schildert, die uns ähnlich schon sehr häufig von Eltern oder ErzieherInnen erzählt wurde. Die Zahl der Ecken wird irrelevant, wenn es jedes Mal darum geht, Jungen von weiblich Konnotiertem abzuraten. (Das Argument, Kindern Ärger zu ersparen, indem man ihnen Wünsche ausredet, ist ja verbreitet, doch in einem Gespräch über die Folgen zu starrer Rollenbilder, löst es sich meist schnell auf :).
Und b) weil doch tatsächlich eine Redaktion, wenn auch von einem unbedeutenden, kleinen Blatt, es für wert befindet, darüber zu schreiben – samt Wertung, dafür ohne jede Reflexion des eigenen Klischeedenkens.
Weil das aber keine veraltete Ausnahme aus der Wetterau ist, sondern ein weit verbreitetes Vorgehen beim Thema Rollenklischees, gibt es dieses Blog, das Teil unserer Arbeit ist.
In unserer grenzenlosen Freizeit reiten wir auf Einhörnern ;)