Andrea Meyer: #WasAndersWäre

#WasAndersWäre

Der Gastbeitrag zum Thema Geschlechterrollen(-klischees) im Alltag, dieses Mal von

Andrea Meyer

Sie ist Spieleautorin und arbeitet im Umweltschutz. Sie lebt mit ihrer Frau und den beiden gemeinsamen Kindern in Berlin. Auf dem Gemeinschaftsblog kleinerdrei.org veröffentlicht sie zurzeit eine Reihe über ihre Erfahrungen als lesbische Co-Mutter in Berlin. Sie twittert unter @andreacmeyer.

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1. Was wäre anders in deinem Leben, in deinem Alltag, wenn du ein Mann/eine Frau wärst?

Als dicke lesbische Frau entspreche ich weder dem „klassischen“ Stereotyp von Frau oder Mann. Für das Bild von „Frau“ bin ich zu dick und zu männlich, für das Bild von „Mann“ bin ich zu weiblich. Als dicker Mann mit allen meinen sonstigen Eigenschaften würde das vermutlich insbesondere im Job weniger auffallen. Mein Einsatz für meine Familie würde hingegen positiver auffallen – wenn ich vergleiche, wie manche Hetero-Paare sich die Erziehungs- und Haushaltsarbeit aufteilen. Im Job hätte ich vermutlich leichter Karriere gemacht, weil es mehr Leute wie mich gegeben hätte und ich nicht so herausgestochen hätte. Ich hätte insgesamt weniger leidige Erfahrungen mit Sexismus machen müssen. Und ich hätte weniger strategisch sein müssen dabei, wann ich in einem Meeting etwas sage, um tatsächlich gehört werden zu müssen. Ich vermute, ich wäre in Bezug auf die Arbeit entspannter, würde aber vielleicht im Alltag mehr Druck bekommen, dass ich nicht der Norm entspreche.

Insbesondere als Jugendliche habe ich mir oft gewünscht, ein Junge zu sein. Die Jungen durften die cooleren Sachen machen, waren weniger „behütet“, wurden nach meinem Gefühl weniger reglementiert. Heute freue ich mich, dass ich „meine eigene Frau“ bin, um es mit Charlotte von Mahlsdorf zu sagen.

 

  1. Was tust du nur deshalb, weil du eine Frau/ein Mann bist?

Vielleicht mit unseren Kindern schmusen? Da würde ich mir wünschen, dass ich das auch als Mann tun würde. Ich habe mit meiner Frau eine Lebenspartnerschaft eintragen lassen – als Mann hätte ich sie geheiratet. Rechtlich ist es so, dass ich als Ehemann meiner Frau unseren Sohn nicht als Stiefkind hätte adoptieren müssen, sondern das Kind qua Gesetz meins gewesen wäre, auch wenn der leibliche Vater bekanntermaßen ein anderer Mann ist. Damit hätte ich mir und uns eine lange und kostspielige Prozedur gespart und unsere Kinder wären vom Tag ihrer Geburt an rechtlich abgesichert gewesen.

 

  1. Was tust du nicht / welche Dinge lässt du lieber, weil du ein Mann/eine Frau bist?

Es fällt mir schwer, hier nicht in Stereotype zu verfallen. Ich vermeide es, im Dunkeln durch schlecht beleuchtete Straßen oder Parks zu radeln oder zu laufen. Ich fahre nicht per Anhalter mit. Wenn ich allein unterwegs bin, weiß eigentlich immer jemand Vertrautes, wo ich bin. Ich uriniere nicht auf der Straße – das würde ich aber als Mann hoffentlich auch nicht tun.

 

  1. Durch welches Klischee fühlst du dich persönlich beeinträchtigt?

Eigentlich durch alle Stereotype, wie Lesben sind, selbst wenn sie an manchen Stellen auf mich zutreffen. Das „Männerhasserin“-Attribut ist dabei vielleicht noch am lustigsten, weil absurdesten. Es ist aber auch extrem menschenfeindlich, weil Menschen, die andere hassen, unterstellen, dass ich das auch tue. Und dazu habe ich ehrlich gesagt weder Zeit noch Energie.

 

  1. Erzähle von einer Situation, in der du bemerkt hast, dass es von Vorteil ist, zur Gruppe der Frauen/Männer zu gehören.

Ich hatte mich immer gewundert, ob es wirklich Frauen gibt, die „per Tränendrüse“ versuchen, Probleme zu lösen. Dann saß ich nach einem finalen Streit mit meiner direkten Chefin beim Personalchef und versuchte, ihm die Situation zu erklären. Und weinte, und konnte nicht aufhören. Er war offensichtlich leicht überfordert, holte Taschentücher und sagte etwas hilflos: „Das wird schon wieder.“ Und fand dann eine Lösung, wie es für mich weitergehen könnte. Ich glaube nicht, dass es ansonsten keine Lösung gegeben hätte, aber meine Tränen haben die Situation definitiv verändert.

 

  1. Gibt es Situationen, in denen das Geschlecht keine Rolle spielt?

Ich glaube das nicht bzw. nicht mehr. Bevor wir Kinder hatten, war ich da optimistischer. Aber wie schon Kleinstkinder in Gender-Rollen gedrückt werden, hat mich sehr desillusioniert. Ob nun Jungen mit leichtem Vorwurf in der Stimme zu hören bekommen, sie hätten ja (sehr) lange Haare, oder Mädchen, die sich durchsetzen, mit leiser aber bestimmter Stimme (und früher und öfter als Jungen) darauf hin gewiesen werden, das „man“ das nicht macht, ist da schon egal. Unseren Kindern verschiedene Perspektiven auf Geschlechtsrollen zu ermöglichen, ist definitiv eine der größeren Herausforderungen der Erziehung.

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