Geschlechtergerechte Pädagogik für ErzieherInnen

„Geschlechterrollenklischees?

Nee, das gibts bei uns nicht!“

Es ist einfach, sich über die rosa-hellblauen Regalmeter im Spielwarengeschäft zu ärgern. Es ist naheliegend, sich irgendwann beim Einkaufen doch einmal über die ewiggleiche, penetrante Zuordnung „blau für Jungs“, „rosa für Mädchen“ zu wundern. Und die Schuldigen sind schnell gefunden, wenn sich der eigene Sohn enttäuscht abwendet, weil er auf einer Verpackung „nur für Mädchen“ liest.

Doch auch ohne Einfluss des Gendermarketing hört die Zuordnung aufgrund des Geschlechts nicht auf.

Wir selbst sind der Stau, über den wir uns ärgern

Und das ist der Aspekt des Themas Rosa-Hellblau-Falle, bei dem die meisten gerne weiterklicken, umblättern, weghören. Denn wenn es um unser eigenes Verhalten geht, wir uns selbst an der Nase fassen sollen, dann wird es plötzlich irgendwie ungemütlich, was ein langer Blogpost, den lese ich später weiter… Fakt ist: Nicht nur beim Einkaufen oder in der Werbung, sondern zuhause, in der Kita, in der Schule werden Kinder alltäglich nach Geschlecht sortiert, auch dann, wenn es für die Situation völlig unbedeutend ist.

„Alle ziehen sich jetzt die Schuhe an, erst die Mädchen, dann die Jungs!“

oder:

„Komm, wir setzen uns drüben zu den Mädchen an den Basteltisch“

oder:

Geschlechtliche Zuordnung von Eigenschaften und Interessen

Dann wieder werden bestimmte Eigenschaften und Interessen dem einen oder anderen Geschlecht zugeordnet, auch wenn die Behauptung „So sind sie eben“ oder „das ist angeboren / biologisch / hormonell…“ durch Studien längst widerlegt wurde. Doch Mythen halten sich leider hartnäckig.

 

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Geschlechtergerechte Pädagogik

In einem Video >Teachings for the whole life spectra<, in dem die Arbeit und das gendersensible Konzept eines schwedischen Kindergartens vorgestellt wird, erklärt eine der ErzieherInnen:

„Children often want to be what we confirm them to be, or what we expect them to be. This is why we avoid categorizing children.“

(Kinder wollen oft das sein, worin wir sie bestätigen, oder wollen so sein, wie wir es von ihnen erwarten. Deshalb vermeiden wir es, Kinder zu kategorisieren.)

Kategorisieren meint, Kinder nach bestimmten Eigenschaften einzuteilen, sie auf etwas festzulegen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihres Aussehens etc.:

Für Kinder (und auch sonst) gilt:

  • Klein ist nicht immer süß
  • Schwer heißt nicht automatisch langsam
  • Sprachliche Schwierigkeiten stehen nicht für weniger Intelligenz
  • Mädchen heißt nicht brav
  • Junge bedeutet nicht Bewegungsdrang

(Alles bekannt? Schnee von gestern? Für Dich / In Deiner Kita kein Thema? –> *klick*)

 

Wieviel Kompromiss ist nötig, um dazuzugehören?

Kinder, die aus dem von der Umwelt als „typisch“ bezeichneten Raster fallen, wird (z.B. durch Kommentare wie oben) täglich bewusst, dass sie „anders“ sind. Doch Kinder wollen dazugehören. Um das zu erreichen, sind sie bereit, zurückzustecken, sich anzupassen, die eigenen Wünsche zurückzuhalten. (s. auch „Kognitive Dissonanz“ / „Dissonanzreduktion“) Jetzt mag eins einwenden: „Kompromisse gehören doch dazu, wenn viele miteinander klarkommen wollen.“ Einverstanden! Aber wie weit sollen diese gehen? Wann machen wir sie zur Bedingung? Wieviel Selbstbewusstsein verlangen wir einem Kind ab, das an etwas festhält, das ihm wichtig ist? (z.B. einem Jungen, der sich gerne mit dem Puppenhaus beschäftigt?)

 


Es ist deshalb Aufgabe der Erwachsenen, sich über die präsenten Kategorisierungen bewusst zu werden, sie infrage zu stellen, sie auch mit Kindern zu thematisieren.

Und gegen diese Haltung gegenüber Kindern stellen sich also ErzieherInnen, PolitikerInnen, EntscheiderInnen, wenn sie meinen, Geschlechtergerechtigkeit vermittle sich irgendwie von selbst? Wenn Sie behaupten, gendersensible Pädagogik sei Gleichmacherei?

 

update Juni 2017:

eine kleine Studie aus Uppsala, Schweden zeigt, dass Geschlechtersensible Pädagogik die Tendenz der Kinder, nach Geschlecht zu trennen und Zuordnungen aufgrund von Geschlecht zu treffen. „Children who attended one gender-neutral preschool were more likely to play with unfamiliar children of the opposite gender, and less likely to be influenced by culturally enforced gender stereotypes, compared to children enrolled at other pre-schools.“

Und hier ein sehenswerter TedX-Talk zum Thema von Lotta Rajalin.

 

Fortbildungen für Erzieherinnen und Erzieher

Ich wünschte, mehr Kitas, mehr Erzieherinnen wären offen, sich mit den Inhalten geschlechtergerechter Pädagogik auseinanderzusetzen. Stattdessen sorgt die mangelnde Fachkenntnis derer, die ohne zu reflektieren „Frühsexualisierung“ schreien dafür, dass vielerorts Kinder weiterhin in rosa-hellblaue Schubladen gedrängt, nach Rittern und Prinzessinnen sortiert, in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeengt werden, mit dem besten Wissen und Gewissen der sie betreuenden PädagogInnen. Und ihre Umwelt meint sogar, sie würde sie durch Ignorieren vorhandener Rollenklischees vor dem Einfluss der „Genderisten“ bewahren. Welche Ironie!

Wer bei den oben genannten Beispielen ein komisches Gefühl bekommen hat, wer sich für die alltäglichen Rosa-Hellblau-Fallen in der Arbeit mit Kindern interessiert, wer nach Strategien sucht, sie zu umschiffen und sich mit anderen darüber austauschen möchte:

unser Rosa-Hellblaues-Köfferchen ist gepackt

– wir freuen uns über Einladungen und/oder Empfehlungen.

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