„schwarzbrot, weißbrot … scheiß auf den farbcode“*

Foto , cc by Antoine Bertier
Auf einem Blatt Papier sind Punkte unterschiedlicher Größe und Farbschattiertung eng aneinander abgebildet. Ich soll in diesem Punktegewirr Zahlen erkennen oder Buchstabenkombination, manchmal auch Figuren … und sehe meistens nichts. Und wenn doch, dann sehe ich das Falsche. Ich sei eben rot-grün-blind. Als Kind fand ich das einigermaßen seltsam, farbenblind? Ich? Meine Welt war doch ausgesprochen bunt, die Wiesen grün, der Himmel blau und die Erdbeeren rot mit gelben Pünktchen. Nur manchmal war mein Rot für andere grün oder braun, mein Blau wohl eigentlich lila oder türkis, und mein Hellblau war in der Tat für andere oft rosa. Als ich mir irgendwann meine Kleider selbst ausgesucht und gekauft habe, mag es bisweilen zu eigenwilligen Farbkombinationen gekommen sein, in den 1980er Jahren meiner Jugend schien das aber nicht so wichtig, zumindest kann ich mich an keine Ausgrenzungserfahrung erinnern, als ich mit einer ersten selbst gekauften Herbstjacke in die Schule kam: sie war leuchtend lila, das Innenfutter hatte hellrosa Blümchen.
Bei der Eingangsuntersuchung zum Zivildienst wurde statt meiner Rot-Grün-Blindheit eine allgemeine Farbsehschwäche diagnostiziert. Für mich aber ist es nur eine Farb-„Benennungsschwäche“, denn, wie gesagt, meine Welt ist ausgesprochen bunt. Farben haben für mich hin und wieder andere Namen und sind mir vielleicht nicht so wichtig wie manch anderen, schon gar nicht Rosa und Hellblau. Meinem Onkel mütterlicherseits – Farbsehschwäche wird ja vererbt, rezessiv auf dem x-Chromosom, weshalb mehrheitlich Männer davon betroffen sind – geht es ähnlich; auch wenn wir uns keineswegs einig sind bei der Benennung einzelner Farben. Mein Onkel traf also eine Bekannte beim Spazierengehen, die ihm stolz ihr Neugeborenes zeigte. Und er ganz unbedarft: „Ist es ein Junge oder ein Mädchen?“ Und sie überrascht, leicht fassungslos: „Aber das sieht man doch! Ein Junge!“ Dem Kind sah man es freilich nicht an, aber eben seiner Ausstaffierung: zartes Hellblau allüberall, das sich aber für meinen Onkel und mich erstens nicht so ins Bewusstsein drängt und zweitens auch hätte Rosa sein können oder eine Mischung von beidem. Auf jeden Fall konnte er sich nicht sicher sein und hat deshalb lieber nachgefragt, bevor er in sein persönliches Rosa-Hellblau-Fettnäpfchen tritt. Wie hätte sie erst reagiert, wenn er auf Mädchen getippt hätte?
Ich weiß nicht, was ich meinen Töchtern, meinem Sohn schon alles angezogen habe morgens, wenn es schnell gehen musste. Aber da für mich das alles selbstverständlich und normal war, haben sie es auch mit derselben Selbstverständlichkeit in ihre Kitas und Grundschulen getragen, war eben mal wieder Karneval und Verkleiden angesagt trotz anderer Jahreszeit. Auf jeden Fall empfinde ich es zunehmend als Vorteil, nicht mit drin zu stecken in dieser Farbhierarchie und dem Bestreben, richtig zu sein, dazu zu gehören. Es ist schön, es ist ungemein angenehm, diese farbliche Zuordnung und Zumutung Jungs = hellblau, Mädchen = rosa einfach nicht wahrzunehmen.
Meine Kinder haben die Farbsehschwäche nicht geerbt, ich hoffe aber, dass sie Farben und ihre Zuordnung auch nie so wichtig nehmen werden. Farben sind relativ und vor allem ihre Bewertung und die Eigenschaften, die wir ihnen zuschreiben. Denn wie auch Jana Pikora in ihrem Gastbeitrag schreibt, gibt es schließlich Farben:
„… die im Außen nicht zu finden sind, für die es keine Namen gibt. In unserer Wahrnehmung existieren weit mehr Schattierungen und Abstufungen als wir mit Sprache zu fassen vermögen.“
*Grüße an die Rap-Gruppe Fettes Brot aus Hamburg
Bin im Baumarkt in der Farbenabteilung. Noch nie habe ich mich Loriot so nah gefühlt! pic.twitter.com/nkhwNgrmxK
— Florian Meyer (@Scherzinfarkt) 28. September 2015