an alle, die sich mehr Kinder für Deutschland wünschen und so wenig dafür tun.

„Seid fruchtbar und beschwert Euch!“ – Buch von Malte Welding

 

„An der offensichtlichen Ungerechtigkeit hat sich innerhalb der vergangenen knapp dreißig Jahre […] nichts geändert. Und eigentlich ist das so ein Moment, wo mir danach ist, die Arbeit an diesem Buch zu beenden. Man macht sich als Kassandra doch lächerlich, wenn die Mauern längst geschleift sind.“, fruchtbarschreibt Malte Welding in seinem neuen Buch ‚Seid fruchtbar und beschwert Euch! Ein Plädoyer für Kinder – trotz allem‘. Auf jener Seite 90, nach knapp der Hälfte, hatte auch ich beim Lesen das dringende Bedürfnis, dieses Buch zur Seite zu legen, mich zu meinen Kindern zu setzen, das Thema einfach wieder zu vergessen, lieber was spielen, reden, schlafen… Und vielleicht hätte ich es ohne diesen Satz auch getan, denn es braucht schon einiges an lektüregeschulter Selbstüberzeugung, Malte Welding, den Autor, den Überbringer der schlechten Nachrichten nicht für den Missmut verantwortlich zu machen, der mich zunehmend befallen hatte. Dieser Satz macht klar, warum der für Malte Welding sonst so typische bissig-lockere Schreibstil hier nur ganz am Rande aufblitzt und dann oft gewollt wirkt, wie eine Reminiszenz an alte, an bessere Zeiten. Dieser Satz macht klar: wir leiden hier gemeinsam an den Verhältnissen in diesem seltsamen Land, wir Eltern, wir Mütter und Väter, letztere allerdings eher seltener, mein Eindruck. Wenn dem nicht so sein sollte, liebe Mitväter, dann wehrt Euch, beschwert Euch! Jetzt, nicht erst nach der Scheidung.

ausgebremst und überrundet

Malte Welding schreibt von der äußert erfolgreichen Kein-Kind-Politik in Deutschland, darüber, wie die gesellschaftliche Grundstimmung, die politischen Rahmenbedingungen und die wirtschaftlichen und nur selten hinterfragten Erfordernisse der Unternehmen zuverlässig dafür sorgen, dass die Geburtenrate in Deutschland unverändert eine der niedrigsten bleibt weltweit. Malte Welding beschreibt, wie schwer es geworden ist in den vergangenen Jahren, den sich widersprechenden Ansprüchen von Berufs-, Familien- und Kinderwelt gerecht zu werden, ohne sich zu zerreiben. Wie wenig ernst gemeinte Unterstützung es gibt, wie wenig offenes Verständnis. Wie wir ausgebremst und überrundet werden von kinderlosen Kollegen und Konkurrentinnen, weil wir einfach keine ungeteilten sechzehn Stunden wache Zeit pro Tag haben, uns auf den Job zu konzentrieren, weil wir die Wochenenden nicht frei haben, um unsere sozialen Kontakte zu pflegen, um uns mal richtig auszuschlafen.

Vor einiger Zeit gab es eine Studie, die zeigte, dass Kinder gar nicht glücklich machen. Im Gegenteil, Eltern seien weniger glücklich als ihre kinderlosen Mitmenschen im gleichen Alter. Was soll diese Studie, fragt Malte Welding, Kinder sollen uns gar nicht glücklich machen, dafür sind sie weder zuständig noch verantwortlich. Außerdem ist es nahe liegend, dass Eltern oft weniger glücklich sind, weil sie eben auf vieles verzichten müssen, einfach weil die Zeit fehlt. Glück ist aber immer nur eine Momentaufnahme. Bist du zufrieden, bist du glücklich … der Zustand kann sich in wenigen Augenblicken verändern. Malte Welding fragt stattdessen nach dem Sinn des Lebens, was das sein könnte, also ein erfülltes Leben, nicht ein Lebensabschnitt, sondern ein ganzes Leben! Er liefert seine persönliche Antwort, und ich frage mich, ob man seine Worte nachvollziehen kann, wenn man keine Kinder hat? Kann man sich Elternschaft wirklich vorstellen? Und kommt diese Vorstellung dem tatsächlichen Zustand nahe? Gustave Flaubert hat einmal geschrieben: „Man muss kein Spiegelei in der Pfanne sein, um ein Spiegelei beschreiben zu können“. Aber was soll der Autor, der mit Madame Bovary (einem Roman, der für seine weibliche Innenperspektive gelobt wird) berühmt geworden ist, auch anderes sagen. Ich jedenfalls bezweifle, dass man Vaterschaft und Mutterschaft wirklich imaginieren kann.

Pflichtlektüre für Vorgesetzte, Auftraggeber und Chefinnen

Und das ist der einzige Haken an diesem Buch, dass die eigentliche Zielgruppe doch Menschen sind, die noch keine Kinder haben, Malte Welding möchte ihnen Mut machen – ob das so gelingen kann? Auch Eltern und Menschen, die sich Kinder wünschen sollten dieses Buch lesen, weil es eine ehrliche Bestandsaufnahme liefert und klar macht, dass die eigene Unentschiedenheit oder Überforderung kein individuelles Problem ist, sondern Teil des Systems. Aber mehr noch möchte ich dieses Buch zur Pflichtlektüre machen für all jene, die über die anhaltende Kinderarmut in Deutschland lamentieren und dann Manuela Schwesig zurück pfeifen und ihren Vorstoß zur Familienarbeitszeit als Privatmeinung abtun. All jene, die sich gegen Kinder entschieden haben – oder sich nur ganz nebenbei in kurzen Qualitätszeitintervallen* um sie kümmern (was ein armseliger Euphemismus) – und flexibelste Kinderlosigkeit nun zum Maßstab erkoren haben. An sie die Frage, ob sie schon einmal in Erwägung gezogen haben, dass so manche Mutter, mancher Vater den Job sehr viel wichtiger nimmt, als es die kinderlose Konkurrenz vielleicht tut, weil sie nicht nur für sich selbst Verantwortung tragen und eben nicht zur nächsten Arbeit in der nächsten Stadt wechseln können?

Also lest dieses Buch und dann gebt es weiter an Eure Vorgesetzten, Auftraggeber und Chefinnen, an die Abgeordneten Eures Vertrauens, an Politikerinnen und Journalisten, an alle, die sich so gerne mehr Kinder für Deutschland wünschen und so wenig dafür tun. Ein Plädoyer für Kinder – trotz allem!

 

*Malte Welding in einem kurzen Interview-Ausschnitt für eines unserer Radiofeatures: >klick<