Gut sieben Jahre ist es jetzt her, dass sich unser Sohn eines Morgens mit dem Selbstverständnis eines Dreijährigen aufmachte, in roten Gummistiefeln und grünem Nicki-Kleid seiner älteren Schwester in die Kita zu gehen. Da wurde uns sehr plötzlich und schmerzhaft bewusst, wie stark das Thema Geschlechtergerechtigkeit hineinreicht in die Familie, und wie weit in die Kindheit. Dass die Haltung „Lasst die Kinder doch Kinder sein“ nur in dem Sinne funktioniert, dass wir uns einmischen, positionieren und dafür kämpfen müssen, dass unsere Kinder Kinder sein dürfen, also sich ausprobieren, im Kleid in die Kita gehen und sich dann trotzdem vom Baum ins nächste Matschloch stürzen. Wenn wir Kinder Kinder sein lassen aber verstehen als In-Ruhe-lassen, weil die Probleme der Erwachsenenewelt noch früh genug kommen, dann überlassen wir sie den Einflüsterungen von Film und Literatur, von Medien, Werbung und Konsumgüterindustrie – und Flüstern ist definitiv das falsche Wort für das, was auf uns und unsere Kinder einprasselt Tag für Tag, das ist schon mehr ein Gebrüll: So sind sie, die Jungs! (wild und abenteuerlustig) Das mögen Mädchen! (extra Ü-Eier und viel Rosa) Und das geht ja schon mal gar nicht für einen Jungen, ein Kleid zum Beispiel. Oder vielleicht doch?
Wir begleiteten unseren Sohn also im Kleid in die Kita und eine Weile ging alles ganz gut: keine Hänseleien seitens der anderen Kinder, leider einige total lustige bzw. bemüht anerkennende Kommentare von anderen Eltern und Nachbarn. Jedenfalls fühlten wir uns mit einem Mal ziemlich verlassen und allein mit dieser Entscheidung, mit unserer Haltung insgesamt. Stevie Schmiedel, die Initiatorin von Pinkstinks Germany hat es gerade erst in unserer ‚Langen Nacht der Geschlechterrollen‚ gesagt: es ist einfacher und bringt mehr Anerkennung, sich als radikale Öko-Familie zu outen, als sich mit aller möglichen Konsequenz gegen die wieder zunehmende Aufteilung in Frauenwelten und Männerwelten zu stellen:
Und der Spiegel bestätigt es, indem er ein junges Elternpaar portraitiert, das komplett auf Plastik verzichtet. Wir wollen nicht vorschnell urteilen, vielleicht kommt ja im nächsten Jahr das Portrait einer Familie, die sich dem Gendermarketingwahn der Konsumgüter- und Lebensmittel- und Werbeindustrie entzieht. Doch da das letztlich gar nicht mehr möglich ist, wird es dieses Portrait wohl auch nicht geben.
Aus diesem Gefühl heraus jedenfalls, mit unserer Haltung ziemlich allein zu sein, begannen wir mit unserer Recherche. Seit Februar gibt es unser Buch „Die Rosa-Hellblau-Falle“ nun, und die schönste Erfahrung sind die vielen Zuschriften von Menschen, die genau so fühlen, die ihre Geschichten mit uns teilen. Vielen Dank dafür! Sie machen deutlich, dass wir den Trugschluss „Es ist ja nur eine Phase“ aus der Kinderzimmernische hervorholen und uns mit ihm auseinandersetzen müssen, wenn es uns wirklich Ernst und Hilde ist mit einer geschlechtergerechten Gesellschaft. Sonst bleiben all die Debatten um Pay Gap und Care Gap, um Alltagssexismus und Frauenquote bloß Stückwerk.
Wir wünschen Ihnen / Euch eine glitzernd grüne Weihnacht, bei der Rosa und Hellblau im Hintergrund bleiben für alle da sind. Und gute Nerven beim Umtausch der Geschenke im neuen Jahr, wenn die Klassikerfrage wieder kommt: Ist es für einen Jungen oder für ein Mädchen?
(kurzer Ausschnitt aus der "Langen Nacht der Geschlechterrollen")

Foto: Taylor McBride via flickr cc