Sexistische Werbung – wer definiert die Grenzen?

„Sexismus ist nicht zwangsläufig nackt.“

(@JakobTheresa)

 

„Außenwerbung trifft! Jeden. Auf Straßen und Plätzen der Städte, entlang der Autobahnen, an Bahnhöfen, auf Flughäfen sowie im Linien-, Nah- und Fernverkehr steht sie im permanenten Kontakt mit der Bevölkerung. Immer, überall, 24 Stunden an jedem Tag des Jahres, unausweichlich, unübersehbar.“ 

–   So wirbt der Fachverband Außenwerbung e.V. für sich selbst und es klingt wie eine Drohung. Tatsächlich ist es eine, denn die Zeilen macht klar: wir haben keine Chance, der Werbung und ihren überzogenen, angeblich ironischen, klischeehaften Botschaften zu entgehen. Der Fachverband Außenwerbung verstellt uns mit seinen bunten Plakaten über Monate hinweg den Weg: es sind die Bilder von  Models, die mit buntem Puder beschossen, also mit Werbung überschüttet wurden. Der Fachverband Außenwerbung hält uns seine Drohung direkt unter die Nase: Plakate, digitale Bildschirme, Riesenposter, LED-Wände an zehntausenden von hochfrequentierten Stellen im öffentlichen Raum. Werbung für Werbung, die uns zeigt, wer die Macht hat, und wie mit dieser Macht umgegangen wird.

Nun soll es in Berlin-Friedrichshain auf bezirkseigenen Flächen (es geht nur um 4! Wände ) keine sexistische, diskriminierende und frauenfeindliche Werbung mehr geben. Doch weil das geplante Verbot eine Debatte auslöste gibt es jetzt einen Änderungsantrag: Erst werden Plakate gehängt, und wenn es Beschwerden gibt, werden sie überprüft – wie das ablaufen soll, bleibt noch offen. Ich finde Susanne Hellmuths Antwort (Vorsitzende des Ausschusses für Frauen, Gleichstellung und Queer der BVV Friedrichshain-Kreuzberg) auf Harald Martensteins Beitrag eigentlich deutlich und verständlich genug, sie legt dar, was sie unter diskriminierender Werbung versteht und was nicht, aber die Kommentare darunter zeigen, dass es noch lange keine Einigung geben wird in der Diskussion darum, ob Werbung eigentlich alles darf. Es gibt offenbar keine einheitlichen und schon gar keine für alle nachvollziehbaren Kriterien dafür, wo die Grenzen sexistischer Werbung liegen, und deshalb ist es auch eine schwierige Entscheidung, wer diese Grenzen definieren und setzen darf. Ist es das?

Ich stimme Silke Burmester zu, die froh ist „dass man nicht Frauen fragt, ob Werbung sexistisch ist. Die haben so viel Nagellack im Kopf, Fiat 500 und Milchschaum, die sind so damit beschäftigt, ihre Brüste hochzuschnüren, die können das einfach nicht beurteilen.“ Da schließt sich der Kreis bis hin zum Gender Pay Gap, denn rechnen können sie ja auch nicht.

Im Deutschen Werberat sitzen deshalb überwiegend Männer, erst vor kurzem wurden drei Frauen zusätzlich berufen. So ein Zufall aber auch. Ich kann mir gut vorstellen, wie die zukünftige Argumentationsstrategie des Werberats lauten wird, in etwa so: „Wir haben auch Frauen im Gremium, die kein Problem mit dem von Ihnen kritisierten Werbeplakat haben, da kann es so sexistisch ja nicht sein.“ Auf dieser Schiene argumentierte auch die ARD damals mit ihrem sexistischen Knetmännchen-Spot, bei dessen Produktion auch Frauen beteiligt waren. Doch das ist ein Trugschluss. Nur weil auch viele Frauen sexistische Werbung nicht als solche erkennen, einen Spot lustig-subversiv und ach so ironisch-spaßig finden, ist er deshalb nicht weniger sexistisch. Das läuft nämlich auf derselben Argumentationsschiene, die auch Bushido nutzt: „Ich bin selbst Ausländer, ich kann also kein Rassist sein.“ Von wegen.

Der österreichische Werberat hat klare Kriterien für sexistische Werbung und schreibt: „Die Werbung vermittelt uns Schönheitsideale, Körperbilder, Lebensstile und treibt Menschen zu maßlosen Diätkuren, chirurgischen Eingriffen, lässt sie zu Anabolika und Stereoiden greifen und erhebt die heterosexuelle Mann-Frau-Beziehung zur gesellschaftlichen Norm.“ Dass das so ist, dazu gibt es genug Untersuchungen, die belegen, dass die subjektive Überzeugung, Werbung zu durchschauen, ihr widerstehen zu können nach dem Motto „Also ICH? Nein! Ich lasse mich nicht von Werbung beeinflussen“ schlicht falsch ist.

„Werbung ist wie Fußball: Jeder ist ein Experte und weiß genau, wann, wie und wo sie wirkt. Oder auch, wann sie absolut unwirksam ist: nämlich bei einem selbst. Werbung wirkt immer nur bei den anderen, bei den Doofen. Man selbst ist absolut unbeeinflussbar. Glaubt man wenigstens.
Dabei wissen selbst Experten viel weniger darüber, wie Werbung wirkt oder – schlimmer noch – ob sie überhaupt wirkt. Sie behaupten das nur. In Wahrheit haben sie wenig oder gar keine Ahnung. Die meisten Fragen zur Werbewirkung sind völlig ungeklärt. Doch die Werber in den Agenturen und die Forscher in den Markt- und Mediainstituten erzählen ihren Kunden das Blaue vom Himmel herunter, um ihnen weiszumachen, dass sie alle Werbewirkung bestens im Griff haben. Den Teufel haben sie.“  Wolfgang Koschnick in einem Artikel auf konsumpf.de

Manchmal braucht es keine Argumente in Worten. Dieses Video zeigt, dass dieses „Den Teufel haben sie“ der Realität entspricht:

Doch die Gegner jeder Diskussion, in der es darum geht, sexistische Werbung zu verhindern, schreiben „Zensur!“, „Kontrolle!“ und behaupten, unsere Wirtschaft brauche (wirklich diese Art?) Werbung, sie pochen auf das Recht auf freie Meinungsäußerung. Warum sind viele an dieser Stelle so großzügig und vertreten die Haltung „Man wird es wohl noch sagen dürfen“. Das ist auch Sarrazins und vieler Leute Argument, wenn es darum geht, Unterstellungen, Meinungsmache und Manipulation in die Öfffentlichkeit zu schütten, ohne sich im Anschluss um eine fachgerechte Entsorgung zu kümmern. Die Folgekosten und -schäden sind enorm.

wo

 

Nachtrag:

Hier habe ich eben einen Tweet bekommen, der dieses dolle Phänomen des „Sexismus in Kleidern“ nochmal im Bild vorführt: die ärmellosen Girls  im linken Grüppchen, die Experten auf der rechten Seite gruppiert. Botschaft: Menschen können nur das eine oder das andere sein, Girl oder Expert, Lippenstift oder Krawatte. Und natürlich (pffff) hängt alles davon ob, welches Geschlecht du hast. Echt jetzt?